Bürgerinfo - Stadt Forst (Lausitz)
Beschlussvorschlag:
Die Stadtverordnetenversammlung beschließt, den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 28.03.1933 zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Adolf Hitler und den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 02.05.1933 zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Wilhelm Kube aufzuheben und damit in der Folge die Ehrenbürgerschaft für beide Personen posthum abzuerkennen.
Erläuterungen:
Historischer Sachverhalt:
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bemühten sich zahlreiche deutsche Kommunen, Hitler sowie weitere führende nationale und regionale NS-Vertreter durch Ehrenbürgerschaften und Umbenennungen von Straßennamen zu ehren. Allein anlässlich des Geburtstages Hitlers am 20. April 1933 haben ihm rund 4.000 Städte die Ehrenbürgerschaft verliehen (Ralf Blank, Ehrenbürgerrecht im “Dritten Reich”. Der Hagener “Ehrenbürgerbrief” für Adolf Hitler, in: Westfälische Forschungen, 53 (2003), S. 345-378, hier S. 348). Gleichzeitig mit Hitler wurde oftmals auch der damalige Reichspräsident Hindenburg in dieser Weise geehrt.
Die Stadt Forst (Lausitz) verlieh in der NS-Zeit vier Personen die Ehrenbürgerschaft. Alle Verleihungen erfolgten im Frühjahr 1933 und zwar für:
Reichspräsident Paul von Beneckendorff und Hindenburg (SVV-Beschluss vom 28.3.1933), Reichskanzler Adolf Hitler (SVV-Beschluss vom 28.3.1933), Oberpräsident der Provinz Brandenburg und Gauleiter der NS-Gaue “Brandenburg” und “Ostmark” (ab 1.6.1933 zusammengefasst zum Gau “Kurmark”) Wilhelm Kube (SVV-Beschluss vom 2.5.1933), Stadtrat a. D. Johannes Noack aus Forst (Lausitz) (SVV-Beschluss vom 2.5.1933).
Rechtsgrundlage für diese Beschlüsse war die auch für Brandenburg geltende “Preußische Städteordnung für die östlichen Provinzen” vom 30.5.1853. Sie bestimmte in § 6, dass der Magistrat gemeinsam mit der Stadtverordnetenversammlung Ehrenbürgerschaften solchen Personen (ursprünglich nur Männern) verleihen konnte, “welche sich um die Stadt verdient gemacht haben”.
Die Verleihung der Ehrenbürgerschaft erfolgte in allen vier Fällen auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung. Die Ausstellung der entsprechenden Urkunden erfolgte durch den Magistrat für Hindenburg, Hitler und Kube am 15. Mai 1933. Noack erhielt seinen Ehrenbürgerbrief erst am 5. Juli 1933.
Bereits in den Jahren 1945-1949 haben viele Kommunen in allen vier alliierten Besatzungszonen Ehrenbürgerschaften, die in der NS-Zeit verliehen wurden, entweder pauschal aufgehoben oder diese Vertretern bzw. Anhängern des NS-Regimes wieder entzogen (z. T. auch Hindenburg). Eine Aufhebung erfolgte entweder direkt durch die Stadtverwaltungen oder durch die allmählich neukonstituierten Gemeindevertretungen. Erst ab den 1980er Jahren, in den ostdeutschen Bundesländern ab 1990, erfolgte eine erneute Welle von Aberkennungen von Ehrenbürgerschaften aus der NS-Zeit oder der Distanzierung von solchen Beschlüssen. Die Diskussion darüber hält bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt an.
Durch die Stadt Forst (Lausitz) ist nach Recherchen des Stadtarchivs bisher keine formale Aberkennung der Ehrenbürgerwürde für die 1933 verliehenen Titel erfolgt (Detailprüfung der Sitzungsprotokolle der Dezernenten/Rates der Stadt 1945-1946, des Antifaschistischen Ausschusses 1945-1947 und Stadtverordnetenprotokolle 1946-1951; Durchsicht Kartei- und Datenbankeinträge zu den Tagesordnungspunkten der Stadtverordnetenversammlung ab 1952-1990).
Inhaltliche Begründung:
Die Entscheidung über eine Aberkennung erfolgt nach individueller Prüfung aller 1933 verliehenen Ehrenbürgerschaften. Eine vom Stadtarchiv vorgenommene historische Bewertung der 1933 zu Ehrenbürgern ernannten Personen befindet sich in der Anlage.
Adolf Hitler wird die Ehrenbürgerschaft der Stadt Forst (Lausitz) posthum aufgrund seiner verbrecherischen Politik insbesondere in seiner Zeit als Reichskanzler (ab 1934 als deutsches Staatsoberhaupt) zwischen 1933 und 1945 aberkannt.
Wilhelm Kube wird die Ehrenbürgerschaft der Stadt Forst (Lausitz) aufgrund seiner Beteiligung an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ab 1933 und seiner Beteiligung an deren Verbrechen, insbesondere in seiner Funktion als leitender Vertreter der deutschen Besatzungsmacht in Weißrussland 1941-1943, aberkannt.
Paul von Hindenburg trägt Mitverantwortung am Scheitern der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933. Aus historischer, ethischer und juristischer Perspektive kann er aber mit Hitler und Kube nicht auf eine Stufe gestellt werden. Daher wird auf eine förmliche Aberkennung seiner Ehrenbürgerwürde verzichtet. Die Stadt Forst (Lausitz) ist sich indess bewusst, dass Hindenburg für ein demokratisches Gemeinwesen keine Identifikationsfigur sein kann.
Johannes Noack wurde 1933 aufgrund seines jahrzehntelangen Engagements für die Stadt Forst (Lausitz) geehrt. Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ihm die Ehrenbürgerschaft aufgrund ideologischer Nähe oder besonderer Verdienste für die neuen nationalsozialistischen Machthaber verliehen wurde. Für die Aberkennung seiner Ehrenbürgerschaft gibt es nach gegenwärtigem Kenntnisstand keinen Anlass.
Formale und juristische Erläuterungen:
Beschlüsse über die Verleihung und die Entziehung des Ehrenbürgerrechts sind durch die Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung) mit einer Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder der Gemeindevertretung zu fassen (BbgKVerf vom 18.12.2007, § 26 Abs. 3, in Verbindung mit § 28, Abs. 2, Satz 8).
Zwar besteht formalrechtlich keine Notwendigkeit zur posthumen Aberkennung einer Ehrenbürgerwürde. De facto erlischt diese mit dem Tod des Geehrten, da es sich bei der Ehrenbürgerschaft um ein höchst persönliches Recht handelt. Im übrigen hatte bereits die Direktive 38 des Alliierten Kontrollrats in Deutschland vom 12. Oktober 1946, Art. VIII, Ziffer II, Buchstabe i, implizit den Verlust des Ehrenbürgerrechts von “Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen” bestimmt, die der Kategorie der Hauptschuldigen angehörten: “Sie [die Hauptschuldigen] verlieren alle ihnen erteilten Approbationen, Konzessionen und Vorrechte sowie das Recht, ein Kraftfahrzeug zu halten.” Die Direktive definierte Straf- und Sühnemaßnahmen gegen die verschiedenen Kategorien von Schuldigen. Hauptschuldige im Sinne dieser Direktive waren u. a. Angehörige der Reichsregierung und Führungspersonal in den Besatzungsverwaltungen (Art. II, Ziffer 5, in Verbindung mit Anlage A, Abschnitt I, Buchstabe K)).
Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass Ehrenbürger im Normalfall über ihren Tod hinaus ein “ehrenhafter” Teil der Stadtgeschichte bleiben: “Für eine Stadt besitzen die Ehrenbürger aus Vergangenheit und Gegenwart deshalb auch eine hohe Imagefunktion und tragen zur historischen Identitätsbildung bei.” (Zitat: Ralf Blank, Ehrenbürgerrecht (...), S. 345.) Die zahlreichen Ehrenbürgerlisten, die Kommunen z. B. im Internet veröffentlichen, legen davon beredtes Zeugnis ab. Eine nachträgliche Entziehung der Ehrenbürgerschaft für Vertreter des NS-Regimes erscheint schon deshalb als angebracht. Zugleich wird damit ein eindeutiger Trennstrich gegenüber den Werten des NS-Regimes und nationalsozialistischem Gedankengut gezogen.
Juristisch steht einer posthumen Aberkennung der Ehrenbürgerschaft nichts im Wege. Die brandenburgische Kommunalverfassung trifft dazu keine Aussage, die zahlreichen posthum erfolgten Aberkennungen in anderen Kommunen seit 1945 wurden juristisch nicht angefochten. Posthume Aberkennungen erfolgten z. B. auch von Ehrenbürgerschaften, die in der DDR-Zeit verliehen wurden und ab 1990 strittig waren (z. B. für Walter Ulbricht). Umgekehrt gibt es auch Fälle posthumer Ehrungen, so wurde z. B. die Schauspielerin Marlene Dietrich 2002, zehn Jahre nach ihrem Tod, Ehrenbürgerin Berlins.
Der vorliegende Beschluss ist im Stadtarchiv in geeigneter Weise zu dokumentieren.
Anlagen:
Historische Bewertung der 1933 zu Ehrenbürgern ernannten Personen
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